Neulich war ich wieder zu Besuch in einer halb versunkenen Industrieanlage welche immer wieder mich zu aussergewöhnlich, Fantastischem bewegte. Ein Grundstück welches dank der Spekulation eine unvergessliche Morbidität ausstrahlt und, was selten ist in der gegenwärtigen Zeitepoche, uns brachial mit der Vergänglichkeit unserer Präsenz konfrontiert.
Genannt sei hier die Spinnerei Jakobstal
Und statt mit Seilen bewaffnet an dieser Stätte irgendwelche Newcomer-Schauspielerinnen zu verschnüren, wollte ich diesmalig Wissen was früher hier als unvergänglich betrachtet wurde. Ich wollte wieder jene Zeiten in denen der technische Fortschritt begann unaufhaltsam unser Leben zu beeinflussen, erkunden. Eine Zeit in welcher man zu glauben geneigt war das all dies Süsse was der Fortschritt hervorbrachte, nie enden würde.
Ein Spekulant kam und kaufte das gesamte Areal zusammen mit der Idee irgendein hässlicher Büroklotz aufzustellen. Damalig, es sollen die Jahre 1990 gewesen sein, wurde das Baugesuch von der Stadt Bülach niederschmetternd abgelehnt. Der Denkmalschutz, so wird berichtet, solle hier massgeblich zur Ablehnung des Baugesuchs beigetragen haben. Immer wieder waren Baugesuche eingereicht worden welche jeweils in Serie wieder der Ablehnung verfielen.
15 mal solle die Feuerwehr auf dem Grundstück Feuer gelöscht haben. Niemand weiss so genau wer diese Feuer legte doch nur wenige hätten ein reales Interesse am Untergang dieser Industrieruine. Und so stirbt dies Teil Stück für Stück vor sich hin. Im Minutentakt rasen Baubestandteile in die Tiefe was dem neugierigen Besucher gewisse Gefahren beschert.
Ich bediente mich der Siegfriedkarte, meiner Beobachtungsgabe und meinem Technikverständnis um zu ergründen was hier mal war und was hier wie was machte. So will ich erzählen vom Ringspinnwerk Jakobstal. Ein Werk welches aus Baumwollballen feiner Faden zog. Vielleicht der Ursprung aller Ursprünge der Redewendung „Fäden ziehen“.
Any, ein Faden, nein etliche wurden auf dem Grundstück neben Bülach gezogen und dies von 1900 weg. Vorhin sollten eher Kühe und Weintrauben ein friedliches Stelldichein gefeiert haben ehe die stampfende Dampfmaschine und all das Zugemüse den Einzug ins Jakobstal fand.
Spazierend mit Fotoapparat ausgerüstet ist eine Geschichte entstanden um dieses Industriedenkmal. Beginnend hier beim Übersichtsplan anno 1910 als nur selten Strom aus der Steckdose kam.
Dem Plan folgend will ich hier die verschiedenen nummerierten Gebäudeteile von 1-11 anhand der Bilder näher beschreiben. Das Werk stellte anno domini Faden aus Rohprodukten wie Baumwolle her. Zur Herstellung des Fadens wurden Ringspinnmaschinen verwendet welche den Rohstoff Baumwolle zu Faden zwirbelte.
Im Gebäude 1) wahren wahrscheinlich Verwalter und Technischer Betriebsleiter untergebracht. Das Gebäude ist Zweistöckig und beherbergte wahrscheinlich damals 3 Familienwohnungen.
Die Häusergruppe 1, 2, 10, 11 gehörte wahrscheinlich früher zu einem ausgedehntem Weingut. Zu Siegfrieds Zeiten (19o0) war das Weinfeld auf bescheidene Hobbygrösse zurück geschrumpft. Indes solle das Werk in vollem Betrieb gewesen sein, die Gewässerverläufe lassen solch ein Rückschluss zu und auch der 300 Pferdedampfmotor stammt aus jener Zeit.
Im Haus 2 befand sich die Spinnereiverwaltung (Erdgeschoss) wie auch das Wohnhaus des Patrons (obere Stockwerke) welcher wahrscheinlich um 1910 noch des Hobbys willen Wein stampfte.
Das genannte zweite Gebäude war, soweit ich mich erinnern mag von stattlicher Grösse vierer Vollgeschosse. Unten EG und Teils 1.OG war die Verwaltung angesiedelt die oberen Stockwerke bewohnte die Besitzerfamilie bis wahrscheinlich die Jahre 60. Die Struktur des Wohnteils an welche ich mich scheu besinnen mag, besass ca. 3 Autonome Wohnungen dies um 2000. Leider ist heute von diesem Teil alles im Erdgeschoss versunken.
Zugang zum Verwaltungsgebäude im Erdgeschoss.
Das Hauptgebäude in welchem die Spinnmaschinen untergebracht waren. Im 1. OG standen schwere Ringspinnmaschinen, an drei deren Strassen besinne ich mich zurück, diese gesichtet im Jahr 2000. Die oberen Stockwerke, ab 2.OG, sah ich nie in Takt. Heute liegen die Maschinen auf einem grossen Haufen Etagendecken eingepfercht zwischen den Aussenmauern.
Erschlossen war das Hauptgebäude über ein aussen liegendes Treppenhaus und über das zentrale Innentreppenhaus am Gegenende des Gebäudes. Das aussen liegende Treppenhaus lebt noch heute. Indes ist das Innentreppenhaus heute verstürzt.
Blick ins Erdgeschoss zu einem der offenen Fenster. Irgendwo in diesem Haufen dürften die schweren, auf Stahlguss gebauten, Ringspinnmaschinen noch liegen.
Nebengebäude der Spinnmaschinenhallen.
Ein grosser Füssigkeitstank trotzt dem Gewicht einer niedersinkenden Decke. Wahrscheinlich diente dieser Tank um die Faser zu reinigen und zu benetzten.
Die roten Kästen, sichtbar im Vordergrund, sind die wohl einzigartigsten Snackautomaten welche nie die Welt erblickten. Die Geräte in Rot sollten Hotdogs nach Einwurf einer Münze frisch herstellen. Die Legende erzählt das diese Kästen, unzählige liegen in den Jakobstalhallen, eines Tages hungrige Stadtspaziergänger hätten versorgen sollen. Die Dinger indes wurden nie behördlich genehmigt, das Thema Hygiene, so wird erzählt, war ausschlaggebend zur Bewilligungsablehnung, und so ruhten diese viele Jahre in den, damalig als Lagerräume vermieteten, Hallen. Vergessen sind die roten Apparaturen so wie deren Erbauer, der wie gemunkelt wird, des Konkurses war.
Durchgang zwischen Hauptgebäude und Werkstatt-Lagergebäude. Hauptdurchgang zum zentralen Treppenhaus.
Im Vordergrund das alte komplett verfallene Rohstofflager, links davon das neue Rohstoffstapellager und im Hintergrund die Fassade des Hauptgebäudes.
Links das neue Rohstofflager rechts das alte verstürzte Rohstofflager.
Innenansicht des Rohstoffstapellagers. Heute sollen sich hier ambitionierte Spraydosenvirtuosen zum gestalterischen Stelldichein treffen. Die Wände erzählen alleweil von fantasievollen Gestalten. Früher waren hier die unbearbeiteten Baumwollballen untergebracht respektive gestapelt. Dies Lager mit hoher Raumhöhe war in etwa den 50 Jahren als Ersatz für das kleine und vor allem niedrige Lager gebaut worden.
Dampfkessel für den Betrieb der Heizung, der Befeuchtungsanlage um das Spinngarn zu befeuchten, und zum Betrieb der Sulzer Nieder-Hochdruckdampfmaschine 300 PS.
Verstürzter Kesselraum mit den zwei Dampfkesseln Typ Sulzer.
Kesselwassernachspeisungsanlage im Kesselraum. Diese Einrichtung war bedacht die zwei Kessel immer wieder mit Frischwasser respektive mit Kondenswasser zu versorgen.
Dampfverteilbatterie im Nebengebäude des Kesselhauses für die Heizungs und Befeuchtungsanlagen.
Primärer Transmissionsantrieb vom Schwungrand Dampfmaschine. Rechts im Bild ein Drehstromgenerator mit angekoppelter Erregermaschine. Leider ist heute der Generator den Kupferdieben zum Opfer gefallen.
Die Dampfmaschine war als Sekundärantrieb der Spinnmaschinen konzipiert. Hauptantrieb lieferten die Wasserräder im Wasserkraftteil. In der Dampfmotorhalle waren die Transmissionskupplungen untergebracht welche die mechanische Energie kommend von der Wasserkraft und von der Hoch-Niederdruckdampfmaschine weiterkoppelten auf die Spinnmaschinen und auf den Generator.
Im ersten Umbau war wahrscheinlich die Transmissionseinrichtung von der Wasserkraft gekappt worden um die Wasserenergie direkt, mittels Kaplanturbinen in Elektroenergie zu wandeln. Heute ist einzig der Transmissionsantrieb von der Dampfmaschine auf den Drehstromgenerator erhalten.
Kurbelwelle und Schwungrad der Sulzer 300 PS Hoch-Niederdruckdampfmaschine.
Dampfmaschine, Hoch und Niederdruckzylinder mit dazugehörigen Steuernockenwelle und deren Dazugemüse. Die Dampfzufuhr erfolgte über die auf dem Zylinder aufgesetzten Ventile. Die Nockenwelle steuerte diese Ventile so das immer dort Dampf in den Zylinder einströmte wo dieser, um den Kolben zu bewegen, gebraucht wurde.
Elektroschaltanlage für den Dampfgetriebenen Dreiphasengenerator. Das vordere Rand ist wahrscheinlich der Feldsteller welcher den Strom von der Erregermaschine in den Rotor hineinregulierte. Hinter dem Rand lassen sich schwere Widerstände erahnen. Leider leisteten hier Vandalen ganze Arbeit.
Oberhalb sind noch die zerdeberten Ampere, respektive Voltmeter zu erkennen. Ob diese Anlage aus 1910 die Einzige war oder ob im Wasserkraftteil zu Jahren 1910 auch so was herum stand entzieht sich meiner Kenntnis. Zu behaupten wage ich das dies Ding nicht Synchronisiertauglich war. Auch ist naheliegend das die Spinnmaschinen prioritär mit Wasserkraft betrieben wurden während die Dampfmaschine hauptsächlich Elektroenergie für die Hilfsbetriebe, wie etwa Licht, produzierte. Dampf war ohnehin notwendig um die Faser zu befeuchten.
Der Generator in heutigen Tagen, das Kupfer ist razeputz zusammengeklaut worden.
Wasserkraftzetrale neuerem Datums, so in etwa 1970. Im Bild die Schalttafel welche die beiden Kaplanturbinen betriebenen Generatoren regelte. Im Gegensatz zur Dampfgruppe sind diese Maschinen Synchronisierbar. So was wie nen Synchroscope war mal drin wenndoch heute schwer zusammengehauen.
Generatorenhalle wie erwähnt, neuerem Datums.
Früher standen hier an dieser Stelle wahrscheinlich noch klassische Wasserräder wenndoch diese aus Stahl. Ein kompliziertes Achsensystem leitete die mechanische Kraft in den Transmissionsraum wo Kupplungen, noch heute neben der bekannten Dampfmaschine, herumstehen. Die weiter gekuppelte Drehenergie trieb letztlich Spinnmaschinen und Sonstiges an.
Eine Flex, wenndoch in sehr grosser Ausführung, machte eines Tages den Achsen den Gar aus um stattdessen Energie über Kabel zu leiten. Anno 1970, so glaubte ich zu erkennen, werden an Stelle der alten Wasserräder die zwei Generatoren mit dazugehörigen Kaplanturbinen gebaut.
Zweiter hinterer Generator in der Generatorenhalle.
Beide Generatoren sind mit Hydraulikaggregaten ausgestattet welche die Wassermengen regulierten, dies zu Zeiten als Wasser noch die Kaplantubinen erreichte. Der Wasserkanal ist, wie heute unschwer zu erkennen ist, viele Jahre bereits ausgetrocknet. Ich sah nie Wasser zu den Turbinen fliessen. Und ein Augenschein des noch begehbaren Kaplanischen Rades verrät schnell das lange fern die Tage liegen als Wasser hier noch arbeitete.
Das hier versaufende Ding war zu besten Zeiten die helfende starke Hand welche die Turbinenfliessenden Wassermassen fein zu regulieren wusste. Die Kraft um der Wasserübermacht Herr zu werden bezog das Gerätchen vom jeweils dazugehörenden Hydraulikaggregat.
Was hier mal stand kann ich nur annähernd erahnen. Klar, da waren Holzschuppen, wahrscheinlich dienten diese als Lagerräume. Nebenan ist eine Holzwerkstätte zu finden. Ich selbst mag mich nicht mehr erinnern hier je was stehend gesehen zu haben. Alleweil ragt eine Staubauffangvorrichtung aus dem Trümmerhaufen welche vielleicht mal zu einer Kreissäge gehörte.
Der hintere Teil der Holzwerkstatt. Das Türmchen lässt auf Kamin, Abluft oder sonst so was schliessen. Wissen tue ich es nicht.
Werkstatt Vorderansicht.
Die längst verstorbenen Überreste eines Wohnhauses. In Jungen Jahren mag ich mich hier an ein schmuckes Häuschen erinnern. Naheliegend das Betriebsleiterstellvertretter und sonstwie Technikwissende im Hause lebten.
Nun denn, heute nichts Neues im Jakobstal.
Allerletzt die Links die von Interesse sein dürften als Abschluss dieser Geschichte.
Interne Links von mir
Mein Blog mit Spinnerei Jakobstal
Meine Bondageseite mit Spinnerei Jakobstal
Mein Artikel hier genannt Kunst ist nicht Wunst
Die Hintergrundseite auch hier Kunst, nicht Wunst
Externe Links
300 PS Sulzer Dampfmaschine beim TGVZU
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